GX
Der blaue Hamburger.
Dieser Wagen war Klaus per E-Mail begegnet. Der Besitzer war verstorben, ein Nachbar kümmerte sich für die Witwe um den Wagen und hatte zunächst nur technische Fragen gestellt, weil er ihn wohl selber behalten wollte.

Im Frühjahr 2003 entschloß er sich dann aber doch, den Wagen zu verkaufen...

Es ist ein angenehm rostfreier, stratosblauer VW Santana GX mit Erstzulassung Mai 1984, 90PS, 4+E und Schiebedach. Beim Kauf zeigte der Tacho 88.000km, und allzu viele sind noch nicht hinzugekommen...

Anläßlich der Fahrt zur Hauptversammlung der Volkswagen AG in Hamburg ließen Klaus und Tilman sich von einem Bekannten und Kollegen in einem für ein Aktionärstreffen nur standesgemäßen Mercedes S400 CDI nach Norden fahren.

So passend diese Limousine jedoch für die Hauptversammlung war, so witzig es war, in Hamburg an der Ampel schnöselig auf Jungproleten in verlebten japanischen Kleinwagen herabzublicken, so unpassend war der Wagen allerdings für eine Autobesichtigung. Wer mit einer neuen S-Klasse vorfährt, wird vermutlich etwas schief angesehen, wenn er bei einem Gebrauchtwagen im Wert von unter 1000,- Euro anfängt, um 50 Euro zu feilschen...

Es war Ende April und schon ziemlich warm selbst in Hamburg. Der "verräterische" Benz wurde um die Ecke geparkt, und kaum ging die Tür auf, da begannen die Fragen: "Oh, wir haben sie gar nicht kommen sehen... - haben Sie gut hergefunden? Ist das nicht zu warm heute im Auto?"
- Was sagt man da? "Ach danke, das ist gar kein Problem. Herr Stefan M. hier ist unser Chauffeur, der uns dank Navi und Klima wunderbar schnell und komfortabel hergebracht hat..." - geht einfach nicht, denn: Siehe oben.
Also ein paar Kommentare à la "mit offenem Fenster ging´s" und "wir haben ja ´nen Stadtplan", danach auf zur Besichtigung des Objektes der Begierde.

Eine äußerst schmale Garage im Souterrain wurde geöffnet, und der Santana rollte heraus. Erfreulich guter Zustand, schön blau innen und außen. Auffällig waren zwei Modifikationen gegenüber der Serie - der rechte Außenspiegel war einfach nicht vorhanden, sondern lag in einer Schachtel im Regal, säuberlich demontiert, weil der Wagen mit zwei Spiegeln einfach nicht durch die Garagentür gepaßt hätte. Somit war dieser GX bis zur Wiedermontage wohl der einzige ohne Beifahreraußenspiegel. Außerdem wurde dem Wagen beim Tausch des Endschalldämpfers eine beim Santana völlig überflüssige Endrohrverlängerung vom Passat Variant montiert.

Der Wagen machte technisch und optisch einen hervorragenden Eindruck, auf einen guten Preis konnten wir uns einigen, ein Abholungstermin wurde vereinbart...

Wir verabschiedeten uns noch draußen und gingen zu Fuß in Richtung des verschämt versteckten Sternenkreuzers, als wir merkten: "Die kommen uns ja hinterher!" - in der Tat, das Verkäuferpaar folgte uns auf unserem Weg zum Auto. Der Preis war zwar vereinbart, aber bisher war nichts unterschrieben. Nicht, daß da ob unseres offensichtlichen Wohlstands noch nach oben korrigiert werden würde...
Doch:Glück gehabt: Bevor wir die S-Klasse erreicht hatten, bogen die beiden in einen Fußweg ab. Es war wohl keine Beschattung, sondern nur ein harmloser Spaziergang... - zufrieden und voller Vorfreude stiegen wir in den Wagen und ließen uns nach Hause fahren.
Wenn für die Besichtigung 8 Zylinder bemüht wurden, dann mußten es für eine Abholung selbstverständlich 12 sein.

Darum bestiegen wir also Anfang Mai einen BMW 750i im Privatbesitz von Alexander, dem notorischen Automobil-Connaisseur des Weserberglands, der vom Audi 200 5T - heute im Besitz von Klaus - über Seat Ibiza und Jaguar XJ bis zum Porsche 944 schon fast alles hatte.
Außerdem hatte er die roten Nummern organisiert...

Der Vertrag wurde unterschrieben, die Nummernschilder angeschraubt, wir packten unsere Sachen in den Wagen und fuhren los. Schnell noch zur Tankstelle und ab auf die A7 nach Süden.

Dort wurde genüßlich das Pedal durchgetreten, die 90 PS packten zu und - NICHTS.

Oder besser: FAST nichts. Der Wagen beschleunigte wie eine in ihrer Fortbewegung stark gehemmte Schnecke. Nach jahrzehntelangem Hamburger Stadtverkehr mit äußerst gelegentlichen und länger zurückliegenden Ausflügen nach St. Peter Ording und Sylt weigerte er sich zunächst standhaft, schneller als 80km/h zu fahren, was in Anbetracht der Tatsache, daß Alexander im 7er seinen schweren Fuß immer so schlecht oben halten konnte, wirklich ärgerlich war. In den Elbtunnel hinein zu fahren war kein Problem, Schwungholen ist jedoch durch das streng überwachte Tempolimit eher schwierig. Die Fahrt aufwärts, zurück zur Erdoberfläche, wurde dann auch zur Herausforderung: Vierter Gang, dritter Gang - es ist ungewöhnlich, im 90-PS-Santana von hinten durch lichthupende LKW geärgert zu werden.
Immerhin: Mit der Zeit stellte sich eine Besserung ein, die 100km/h-Marke wurde erreicht, überschritten, und schließlich konnte sogar der E-Gang genutzt werden. Trotzdem wurden die 150km/h auch 200km später noch nicht überschritten - der Wagen war wirklich völlig zugeschnürt, und vermutlich obendrein bei der letzten AU mit einer äußerst mageren Gemischeinstellung versehen worden.

Eine gründliche Wäsche beförderte Tonnen von Sand aus dem Bereich des Tankstutzens - die Reinigung dieses einen Radhauses dauerte über eine halbe Stunde. Vermutlich Sand vom Strand in St. Peter Ording - warum diese Stelle dennoch so erfreulich unverrostet geblieben war, kann man nur raten. Vielleicht war der Wagen von unten einfach nie richtig naß geworden, sodaß der Sand eine Art Schutzschicht bildete?

Spätestens nach Wäsche und Innenraumsäuberung waren wir uns völlig sicher, mit diesem Wagen für unseren Fuhrpark einen guten Griff getan zu haben, und jede Fahrt wurde und wird zum Genuß.
Zu tun gibt es an diesem Auto nur noch wenig - einzelne, nicht originale Teile müssen noch ersetzt werden, die Stoßstangen aufgefrischt und die unpassende Endrohrverlängerung entfernt werden, und wenn mal ganz viel Zeit ist,dann läßt sich sicher auch der Vergaser überreden, noch ein paar PS mehr zu spendieren...
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